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Ein typischer Tierschutzfall?

Ein typischer Tierschutz-Fall oder ging nur schief, was auch immer schief gehen konnte?

Vorab... auch wenn ich selber nicht in irgendwelchen Tierschutzvereinen aktiv tätig bin, bin ich grundsätzlich kein Gegner von Auslandstierschutz und auch nicht dagegen, Hunde aus dem Ausland einzuführen, sofern das mit Sinn und Verstand und in vollem Bewusstsein der damit verbundenen Verantwortung geschieht. Ich will jetzt auch ausdrücklich keinen Verein an den Pranger stellen, denn das, was ich hier zu berichten habe, hätte so überall passieren können. Bei den einen ist das Risiko vielleicht höher als bei anderen. Der folgende Fall soll einfach nur als Beispiel dienen, das einmal möglichst sachlich zu beleuchten.

Erst einmal zum konkreten Fall:

Ich wurde am 17.12.2019 mit einem Fall konfrontiert, der eigentlich so gar nicht in das passt, was ich so üblicherweise mache. Aber kurz vor Weihnachten, wenn irgendwie niemand erreichbar ist, aber dringend etwas passieren muss, dann macht man auch schon mal was, was man sonst eben nicht so tut. Gegen frühen Nachmittag bekam ich einen Anruf aus Hagen-Rummenohl von zwei jungen Damen, in deren Schlafzimmer sich ein Hund befände, noch mit Leine an einer Heizung gesichert, an den keiner mehr herankäme, ob ich da helfen könne. Die vorläufige Geschichte dazu war (es sind da definitiv noch die eine oder andere Frage im Detail zu klären), dass Tyler seit ca 2 Wochen in eine Familie vermittelt gewesen sei, ca 6 Monate alt, Kangal-Mali-Mix, zuvor unauffällig, hätte am Samstag die Vorkontrolleurin massiv gebissen -diese liegt nun im Krankenhaus- und wäre dann zu ihnen auf Not-Pflegestelle gekommen. Er wäre mit einem Halti gesichert zu ihnen gekommen und sie hätten ihn vorsorglich an der Heizug fest gemacht, weil sie eigentlich auch keine Erfahrung mit solchen Hunden haben. Das Halti hatten sie dann abgenommen, damit er fressen kann. Und damit nahm dann das Unglück seinen Lauf, weil nun im Grunde niemand mehr den Raum betreten konnte.

 

Da ich für solche Fälle definitiv (noch) nicht ausgestattet bin, hielt ich Rücksprache mit Steffi Ackermann, die ich durch die immer mal wieder stattfindende Zusammenarbeit mit dem Tierheim der Stadt Hagen kenne, welches von ihr geleitet wird. Sie hatte gerade frei und ein paar Stunden Zeit. So beschlossen wir, uns das vor Ort anzuschauen um zu sehen, ob wir eine Chance bekommen würden, an ihn

heran zu kommen, ansonsten halt zu schauen, wie man ihn möglichst ohne ihn noch weiter zu traumatisieren dort heraus bekommen könnte. Die Annäherung durch Steffis Hündin akzeptierte er noch bis zu einem gewissen Maße, aber uns Menschen zeigte er sehr deutlich, dass er uns in keinster Weise tolerieren und, wenn er keine andere Wahl hätte, auch seine Zähne benutzen würde. Zum Glück ist außer blauen Flecken nichts weiter passiert. Aber es war auch schnell klar, dass Tyler kein souverän vorgehender Hund ist, sondern sich einfach aus seiner Angst und Unsicherheit heraus nicht anders zu helfen weiß. Es war ihm deutlich anzusehen, dass das eigentlich das Letzte war, was er wollte, er aber eben nicht anders konnte in der Situation. Da auch inzwischen abzusehen war, dass das Konstrukt aus Leine und Geschirr nicht mehr lange halten würde, zogen wir uns erst mal zurück und überlegten, was zu tun sei und wie man weiter vorgehen könnte. Es war ja nicht nur zu klären, wie man den Hund da heraus bekommt, sondern auch, wo dann mit ihm hin. Netterweise wurde schon mal die Möglichkeit zur Verfügung gestellt, Tyler vorübergehend als "Pensionshund" im Tierheim Hagen aufzunehmen, damit der Verein die Möglichkeit hätte, in Ruhe zu überlegen, wie nun weiter verfahren werden sollte. Da er seit zwei Tagen jegliche Nahrungsaufnahme verweigert hatte, erschien uns die Möglichkeit, ihn über Futter zu sedieren, nicht sehr vielversprechend. Einen Zugriff mit der Fangstange hätten wir ihm gern erspart und so versuchten wir, eine Narkose via Blasrohr zu organisieren. Aber einen Tierarzt zu finden, der kurz vor Weihnachten für so etwas Zeit hat, ist schon eine Kunst für sich, einen, der die Medikamente zur Verfügung gestellt hätte, war ebenso nicht zu finden. Nur ohne Tierarzt ist es auf Grund der gesetztlichen Bestimmungen nunmal nicht möglich, was ja auch völlig richtig und in Ordnung ist. Grundsätzlich hatten wir für den Fall schon die Zusage von Markus Barke, dass er kommen und das für uns machen würde, sofern wir halt Tierarzt und Medikamente organisieren könnten. Als Plan B wurde vereinbart, alles Equipment dabei zu haben, um dann notfalls doch die Fangstange zu nutzen.

 

Wie befürchtet, ließ sich die Narkose tatsächlich nicht organisieren. Aber durch die erste in Augenscheinnahme am Nachmittag wussten wir schon, dass Tyler, so er die Chance hatte, Flugboxen als Schutz akzeptierte. Er hatte sich, groß, wie er ist, in eine Box geflüchtet, die kaum größer war als eine größere Katzenbox. Ein kleinerer Hund hätte da wohl noch Platz gehabt. Er leider nicht. Also organisierten wir aus dem Tierheim noch eine ausreichend große Box und ich fuhr noch mal los, um Köderfutter zu besorgen, um ihn eventuell doch noch auf sanfte Weise sichern zu können. Um ca 19.00 Uhr traf ich mich dann wieder mit Marcus und Bea aus seinem Team dort in der Wohnung. Nach einem weiteren Blick ins Zimmer war klar, dass Tyler inzwischen fast komplett aus dem Geschirr heraus war. Somit hieß es nun erst mal, egal, was wir jetzt versuchen... nur noch mit Vollschutz!!! Von dem gebratenen Hühnchen nahm er zwar etwas an, aber es hätte nicht gereicht, um ihn z.B. damit zu sedieren. In die Schlinge der Fangstange ließ er sich damit leider auch nicht locken. Letztlich war er dann auch endgültig aus dem Geschirr raus, so dass Marcus dann beherzt vorgehen und ihn mit der Stange sichern musste. In dem Moment, als Tyler dann in der Box saß, entspannte er deutlich und wir konnten ihn ohne weitere Probleme ins Tierheim bringen, wo er jetzt hoffentlich zur Ruhe kommt und lernen darf, dass Menschen vielleicht doch nicht so doof sind. Zumindest hat ihm das jetzt Zeit und hoffentlich eine Chance verschafft.

Danke an dieser Stelle nochmals an Marcus, Bea und Steffi für euren spontanen Einsatz.

Wie konnte es nun überhaupt zu solch einer Eskalation kommen?

Wie gesagt, ich kenne noch nicht alle Details und es geht mir auch nicht darum, irgendwen zu verurteilen. Aber es ist für mich ein deutliches Beispiel dafür, was alles schief gehen kann und auch, wo immer wieder  Schwachstellen liegen, egal, wie seriös grundsätzlich vermittelt wird.

Es fängt schon damit an, dass man sich grundsätzlich überlegen muss, welcher Hund passt zu welchen Menschen. Wenn man sich z.B. die Rasse Kangal genauer anschaut, eben auch, wofür die ursprünglich mal gezüchtet wurden und auch heute noch eingesetzt werden, dann wird schnell klar, dass das nicht unbedingt der Kinderliebe-Familien-Wohnungs-Begleithund ist, sondern eher ein Individualist, der gern zu eigenständigem Handeln neigt, wie es ja ohnehin bei vielen HSH der Fall ist. Da darf man sich schon auch mal die Frage stellen, warum so ein Hund in eine Wohnungshaltung mit Kindern vermittelt wird. Aus meiner Sicht eher suboptimal. Ein Punkt, den ich, nicht nur bei der Vermittlung von solchen Hunden, oft schlecht umgesetzt sehe. Es reicht halt nicht, dass ein möglicher Adoptant sich in das Foto eines Hundes verliebt und vielleicht auch ganz viel Liebe mitbringt. Denn auf diese Liebe pfeift der Hund, egal welcher, erst einmal. Er kommt in eine völlig neue Situation und je nach individuellem Charakter und Rasse bzw. Mix mit allen entsprechenden Dispositionen wird er eben so oder so reagieren. Das heißt, dass es an dieser stelle schon einer hohen Kompetenz auf der vermittelnden Seite bedarf, damit hier nicht schon die ersten Fehler passieren. Da muss man als Verein auch schon mal den Mut haben zu sagen: "Hey, du wärest sicherlich ein toller Hundehalter, aber eben nicht für diesen Hund. Ich würde bei dir eher diesen oder jenen anderen sehen!" Ja... das kann Adoptanten kosten, aber auch viel Ärger ersparen und wer das nicht versteht, hat einen solchen Hund ohnehin nicht verdient. Und genau das zu beurteilen ist eigentlich die Sinn und Zweck einer Vorkontrolle. Eben nicht nur zu schauen, ob die Wohnsituation zu den Angaben im Kontaktformular passt, sondern auch im Gespräch herauszufinden, wie sind die Adoptanten gestrickt? Ist denen die Verantwortung überhaupt bewusst? Wissen sie, wie man z.B. einen HSH am sinnvollsten halten kann? Und klar, auch eine Vorkontrolle kann dem Menschen nur vor den Kopf schauen und ob Leute sich dann auch an das halten, was sie während der Vorkontrolle sagen... dafür gibt es nie eine Garantie. Aber an dieser Stelle sehe ich z.B. ein großes Risiko bei Vereinen, die, geographisch gesehen, in einem großen Umkreis vermitteln und sich gar nicht mehr persönlich um die Hunde und ihre Menschen kümmern können und dafür eben auf externe Leute angewiesen sind. Deren Hintergrund und Wissen kennt man ja oft gar nicht. Da wird dann oft auf irgendwelche Mailinglisten oder VKNK-Gruppen z.B. auf facebook zurück gegriffen. Das ist in meinen Augen ein nicht zu verachtender Risikofaktor. Es gibt natürlich auch Vereine, die es dann gleich ganz sein lassen mit den Vorkontrollen, was  natürlich auch nicht zielführend ist.

Die Familie, die Tyler bekam, kenne ich nicht und auch nicht ihre Erfahrung grundsätzlich mit Hunden und speziell mit solchen Hunden. Was ich allerdings mitbekommen habe ist, dass sie von irgendwo her, wahrscheinlich aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis den famosen Rat bekamen: "Zeigt ihm gleich, wo der Hammer hängt und drückt ihn runter, wenn er sich muckt und nicht spurt!" Und das wurde wohl auch umgesetzt. Bei keinem Hund eine gute Idee, dieser Kangal-Mix hat es leider entsprechend quittiert. Die Vorkontrolleurin, die wissen wollte, was da plötzlich los ist, wo es vorher keine Probleme gegeben hatte, kam ins Zimmer und liegt nun mit multiplen Bissverletzungen im Krankenhaus. Klar war dann natürlich... es gibt dort Kinder, der Hund muss da weg, schon aus Sicherheitsgründen lieber heut als morgen. Sogar Einschläfern wurde in Betracht gezogen. Da leider sehr viele Verein keine qualifizierten Pflegestellen für solche Hunde vorhalten (können) oder diese oft leider auch besetzt oder überbelegt sind und sich wahrscheinlich auch niemand gerade zu Weihnachten so einen Hund ins Haus holen möchte, musste hier die erstbeste, in diesem Fall die erstschlechteste, Lösung her. Die beiden Mädels aus Hagen, die eine Partnerin gehört zum Verein, waren bereit, ihn erst mal zu nehmen. Leider, ohne sich wirklich bewusst zu sein, was da auf sie zukommen würde. Sie bekamen Tyler, wie oben erwähnt, sediert und mit Halti gesichert am Samstag gebracht und waren von der Situation völlig überfordert, wurden förmlich überrollt. Zum Glück hatten sie noch so weit gedacht, ihn anzuleinen. Sicher nicht schön für Tyler, aber sonst hätten wir dort so richtig "Spaß" gehabt, nicht, dass der Tatsächliche nicht schon gereicht hätte.

Worauf ich hinaus will, gerade jetzt vor und um Weihnachten und den Jahreswechsel, wo sich solche Fälle, genau wie die Fälle entlaufener Tiere wieder eklatant häufen werden:

 

Schaut euch bitte die Organisationen an, von denen ihr einen Hund oder überhaupt ein Tier übernehmen wollt!!

  • Macht euch Gedanken, wenn der/die Vorkontrolleur/in wenig bis keine Informationen außer denen aus dem Vermittlungspost haben. Wenn ich vom Hund nichts weiter weiß, kann ich niemals beurteilen, ob dieser in genau diese bestimmte Familie passt. Zweiter wichtiger Punkt bei der Vorkontrolle wäre, ob auch unangenehme Fragen gestellt werden. Wenn ich einen Hund adoptieren will, muss ich Verantwortung in Form von ausreichend Kompetenz (oder entsprechend organisierter Hilfe), Zeit und auch monetären Möglichkeiten (Tierarzt, Versicherung, Steuern etc.) mitbringen und mir auch die entsprechenden Fragen dazu gefallen lassen. Werden sie nicht gestellt, könnte es sein, dass ich an eine Organisation geraten bin, die entweder externe, wenig kompetente Vorkontrolleure losschickt oder eben eher Masse statt Klasse vermittelt.
  • Wo muss ich meinen Hund in Empfang nehmen? Wird er im Idealfall bis zu mir gebracht? Das wäre natürlich optimal, ist aber in aller Regel nicht wirklich durchführbar, aber... Wird er mir dann schlecht gesichert auf einer Autobahnraststätte oder einem öffentlichen Parkplatz in die Hand gedrückt und ich rasend schnell abgefertigt, als wäre der Fahrer auf der Flucht, oder trifft man sich auf einem abgesicherten Gelände und bekommt Hunde im Sicherheitsgeschirr und/oder Box übergeben (beides kann man als künftiger Hundehalter ja mitbringen), so dass da nichts passieren kann. Auch über so etwas sollte z.B. bei der Vorkontrolle aufgeklärt werden.
  • Und... so blöd es auch im Tierschutz immer wieder rüber kommt... ein weiteres Kriterium ist auch der Umgang mit den Finanzen. Das sagt oft viel über die wirkliche Motivation des Vereins, wenn es denn überhaupt ein Verein ist, aus. Gibt es einen ordentlichen Übernahmevertrag? Werden die Schutzgebühren auch als solche deklariert oder muss man eine "Spende" entrichten, ohne wirklich was in die Hand zu bekommen? Damit der Hund mir wirklich gehört, brauche ich einen Kaufvertrag oder es muss meine Name im Impfausweis eingetragen worden sein (letzteres darf ich nicht selber tun!!!). Entrichte ich lediglich eine Spende, ergibt sich daraus theoretisch keinerlei Recht auf den Hund. Auch hier darf man sich zumindest einmal Gedanken machen.
  • Und als letztes: Wann wird vermittelt, bzw. gibt es "Schonzeiten"? Ich frage mich immer wieder, warum gerade vor Weihnachten und um Neujahr so viele Hunde, vor allem auch unsichere Hunde nach Deutschland eingeführt werden müssen. Kaum sind die Nasen hier, müssen sie den Weihnachtsstress mit gefühlten 100 Leuten über sich ergehen lassen. Ist das mit Ach und Krach und viel Stress gerade mal überwunden, kommt Silvester mit der nächsten Ladung Menschen, der Knallerei, dem damit verbundenen Gestank und Geflacker. Ich behaupte mal, würde man sie fragen können, würden die meisten Hunde diese Stresstage lieber in einem gewohnten Umfeld verbringen, auch wenn das aus menschlicher Sicht nicht so toll sein mag. Aber hey... sie kennen es nicht anders und es ist ihnen vertraut und das, was ihnen bekannt ist gibt ihnen ein gewisses Maß an Sicherheit.

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